Die nationalkonservative Regierung in Polen sammelt nicht gerade die besten Noten in der EU. Die Wirtschaft des Landes aber schon – sie entwickelt sich sehr stabil und der Aktienmarkt boomt. Der Leitindex WIG 20 hat sich seit Jahresanfang 2017 bis zu 30 Prozent in die Höhe geschraubt. Polens politischer Kurs kümmert Investoren wenig – die Kurssteigerungen an der Börse in Warschau zeugen von einem starken Zulauf auch von internationalem Geld. Die polnische Wirtschaft gilt als flexibel und anpassungsfähig. Unabhängig von den politischen Faktoren ist sie seit Jahren auf einem aufstrebenden Kurs. Sehr gute Perspektiven stehen auch vor dem E-Commerce Markt – für die kommenden Jahre sind die Umsatzzuwachsraten von 15 bis 20 Prozent prognostiziert.

E-Commerce Szene in Polen

Der polnische E-Commerce gehört zu den am schnellsten wachsenden Märkten in der EU. Laut der neuesten Gemius Studie „E-Commerce in Polen 2017“ erreicht der Online-Markt in Polen monatlich rund 27 Millionen Nutzer. Während die ältere Generation neue und bequeme Möglichkeiten entdeckt, kauft die junge Generation immer häufiger vom Smartphone- oder Tablet aus.

eBay und amazon? In Polen zählt allegro!

Was den polnischen E-Commerce stark von den westeuropäischen Staaten unterscheidet, sind die Online-Marktplätze. Große, internationale Internetplattformen wie eBay oder amazon haben keine bedeutende Marktposition in Polen.

Der größte Online-Marktplatz und unbestrittener Marktführer mit 20 Millionen registrierten Nutzern heißt Allegro.pl.

Die Allegro-Gruppe dominiert den polnischen E-Commerce. Neben dem führenden Online-Marktplatz gehört zu ihr auch die reichweitenstärkste Preisvergleichsseite Ceneo. Die Dominanzposition und hervorragende Bekanntheitsgrad von Allegro resultieren aus einem sehr frühen Marktstart – das Unternehmen wurde 1999 in Polen durch den Niederländer Arjan Bakker als ein reiner Auktionsmarktplatz gegründet.

Dieser entwickelte sich aber in kurzer Zeit zu einem umfassenden Online-Marktplatz und eroberte auch andere Märkte in Zentral- und Osteuropa (Tschechien, Ungarn, Russland und Ukraine). Im Laufe der Zeit hat Allegro seinen Bekanntheitsgrad immer weiter ausgebaut und ist so zum unangefochtenen Marktführer in Polen geworden. Ende 2016 wurde die Allegro-Gruppe durch die Private-Equity-Fonds Cinven, Permira und Mid Europa für 3,25 Milliarden Dollar übernommen. Es ist ein Rekordbetrag in der immer noch relativ jungen Geschichte des polnischen E-Commerce.

Zwar ist die derzeitige herrschende Stellung von Online-Gigant Allegro noch nicht bedroht, jedoch man bemerkt die immer größeren und weiter gehenden Aktivitäten der internationalen Konkurrenz in Bezug auf den polnischen E-Commerce Markt. In Studie des Forschungsunternehmens Gemius erreichte der AliExpress Shop die Top-10 der populärsten Online-Einkaufsservices. Die Plattform der Alibaba Group mit Produkten direkt von chinesischen Herstellern ist derzeit bereits einem großen Teil der polnischen Online-Verbraucher bekannt.

Der Service steht in Polnisch zur Verfügung und die Transaktionen mit Kunden werden durch das polnische Online-Zahlungssystem Przelewy24 unterstützt. Auch eBay der mit seinem nicht mal 1 Prozent Marktanteil als der größte Verlierer in polnischem E-Commerce gilt, ist aus dem Schlaf geweckt und versucht seine Marktposition zu verbessern. Ende 2016 hat eBay seine Webseite modernisiert und erhebliche Erleichterungen für Händler eingeführt (unlimitierte kostenlose Einstellung von Waren auf eBay.pl für inländische Händler).

Außerdem ist seit Ende Oktober 2016 auch der deutsche Amazon Marktplatz für viele polnische Kunden deutlich interessanter geworden. Die Plattform bietet jetzt neben der polnischen Sprachversion und Kundenservice auch die kostenlose Lieferung nach Polen innerhalb von 1-2 Tagen ab einem Bestellwert von 39 Euro an. In den Medien wird immer öfter über Eröffnung des polnischen Amazon Länder-Shops spekuliert. Dies wäre eine große Herausforderung für die aktuell unbestrittene Nr. 1 – Allegro.

Der geringe Einfluss der großen US-Onlinekonzerne lässt den polnischen E-Commerce zu einem aufstrebenden Markt mit vielen Playern werden. Dazu kommen sehr hohe Wachstumszahlen, die aus einem noch vorhandenen Nachholbedarf gegenüber den Märkten im Westen resultieren. Trotzt waschender Konkurrenz ist es noch weiterhin gute Zeit um sich ein wesentliches Stück vom E-Commerce-Kuchen abzuschneiden. Viele deutsche Händler haben diese Möglichkeit erfolgreich genutzt. Die Online-Shops von Zalando, DaWanda, Tchibo, OBI, Rossmann, Douglas oder der Media Saturn Gruppe zählen in Polen zu den Top 5 in ihrem Segment.

Beim Online-Shopping verhalten sich die Polen ähnlich wie die Deutschen

Mit knapp 40 Millionen Einwohnern ist Polen das sechstgrößte Mitgliedsland der EU. Die Anzahl der Online-Shopper steigt von Jahr zu Jahr. Dabei haben etwa 40 Prozent aller Kunden auch schon zumindest einmal etwas bei einem ausländischen Anbieter bestellt.

Die Konsumgewohnheiten der Polen unterscheiden sich nicht viel von denen der Deutschen. Dazu kommen noch sehr positive Vorstellungen der polnischen Verbraucher über das Label „made in Germany”. Die polnischen Kunden schätzen die Qualität deutscher Produkte und die Zuverlässigkeit der deutschen Händler. Deutsche Online-Händler haben also einen Vertrauensvorschuss, auf den sie bauen können, wenn sie ihre Produkte auch nach Polen verkaufen.

Zu den beliebtesten Produktgruppen im Onlinehandel gehören ähnlich wie in Deutschland: Kleidung & Accessoire, Schuhe sowie Spielzeuge und Kinderartikel, gefolgt von Büchern, Elektronik und Kosmetika. Laut der Gemius Studie „E-Commerce in Polen 2017“ bewerten die meisten Online-Shoppern ihre Online-Einkauferlebnisse sehr gut oder gut.

Mit Einkaufen im Internet assoziieren sie Zeit- und Geldersparnis, Bequemlichkeit und großer Produktauswahl. Ein merklicher Trend ist das oft gesuchte Sparpotenzial, das viele Kunden vom häufigeren Online-Einkauf überzeugt. In einer Studie von TNS Polska, die im Auftrag von Trusted Shops durchgeführt wurde war die am häufigsten genannte Antwort, was Kunden vom Online-Einkauf überzeugen könnte, der kostenlose Versand (46 Prozent). Knapp 40 Prozent der Befragten würden Sonderangebote oder Rabattcodes für den nächsten Einkauf schätzen. Für die Online-Kunden ist darüber hinaus die Sicherheit beim Online-Shopping ein wichtiges Thema. Jede dritte Befragte (32 Prozent) bezeichnet die Geld-zurück-Garantie als sehr gute und praktische Lösung.

Die überwiegende Mehrheit der Online-Shopper bevorzugt die Bestellung als Gast, also ohne vorherige Kunden-Anmeldung. Bei der Bezahlung bevorzugen polnische Kunden Online-Bezahlsysteme wie z.B. PayU, Przelewy 24, Pay-pal oder Dotpay, gefolgt von Zahlung per Nachnahme und Kreditkarte. Bei den Zahlungsanbietern ist ähnlich wie bei den Online-Marktplätzen die starke Position der lokalen Anbieter merklich. Der eigentlich einzige internationale Anbieter mit starker Marktposition und hohem Bekanntheitsgrad ist Pay-pal.

Vorsicht auf rechtliche Besonderheiten ist geboten

Grundsätzlich gelten in Polen dieselben Regeln im E-Commerce wie in Deutschland, da diese meist auf EU-Richtlinien beruhen.

Es gibt jedoch einige Ausnahmen in Bereichen die EU-weit nicht harmonisiert wurden. So ist z.B. das Gewährleistungsrecht innerhalb der EU nicht einheitlich, so dass in den verschiedenen Mitgliedsstaaten unterschiedliche Fristen und Verfahren gelten können. Neben ausführlicheren Infopflichten ist die verlängerte Beweislastumkehr bei einem Sachmangel zu beachten. Diese dauert in Polen nicht sechs, sondern zwölf Monate lang. Es wird also innerhalb der ersten zwölf Monate nach Übergabe bei Auftreten eines Mangels vermutet, dass dieser bereits bei Gefahrübergang vorgelegen hat. Wenn also ein Verbraucher innerhalb von zwölf Monaten seit Warenempfang einen Sachmangel meldet, so gilt grundsätzlich die Vermutung, dass die Ware bereits bei der Lieferung mangelhaft war.

Außerdem anders als im deutschen Recht sehen die polnischen Regelungen eine verbindliche Frist vor, innerhalb welcher der Händler zur Mängelbeschwerde des Verbrauchers Stellung nehmen muss.  Diese Frist beträgt 14 Kalendertage und gilt nur beim Verbrauchsgüterkauf. Ziel dieser gesetzlichen Regelung ist es, eine verzögerte und langwierige Bearbeitung der durch den Verbraucher erhobenen Reklamation zu vermeiden. Nimmt der Verkäufer zu der Mängelbeschwerde des Verbrauchers innerhalb dieser gesetzlich vorgesehenen Frist keine Stellung, so gilt der vorgetragene Mangel als erwiesen und die Ansprüche als gebilligt. Die Reklamation wird dann als berechtigt anerkannt.

Wer trägt die Transportgefahr?

Neben diesen zusätzlichen Pflichten gibt es aber auch Unterschiede, die die rechtlichen Aspekte im Online-Handel erleichtern. So trägt z.B. die Gefahr des zufälligen Verlusts oder der Beschädigung der Ware bei einer Rücksendung im Rahmen des Widerrufsrechts nicht der Online-Händler, sondern der Auftraggeber der Sendung.

Bietet der Händler keine kostenlose Rücksendung an, ist der Verbraucher der Auftraggeber dieser Rücksendung. Eine andere interessante Möglichkeit besteht im B2B Geschäft. Der Händler kann die gesetzliche Mängelhaftung des Verkäufers in den AGB modifizieren oder sogar gänzlich ausschließen.

Abmahnungen in Polen

Ähnlich wie in Deutschland spielt die rechtliche Konformität eine wichtige Rolle. Der Markt ist von dem Amt für Wettbewerbs- und Verbraucherschutz (UOKiK) ständig überwacht. Zum UOKiK gehören die Zentrale in Warschau und 9 regionale Vertretungen. Die Behörde führt regelmäßige Marktkontrollen durch. Sie kann im Administrativverfahren den missbräuchlichen und unlauteren Charakter einer Klausel oder der Geschäftspraktik prüfen und deren weitere Anwendung untersagen.

Beim UOKiK kann jeder Verbraucher seine Beschwerde einlegen – auch solche, die keinen Vertrag mit dem Händler haben. Es genügt, dass es für den Verbraucher möglich wäre, einen Vertrag mit unzulässigen Bestimmungen abzuschließen. Die Verbraucher können sich außerdem unentgeltlich durch den „Beauftragten der Verbraucherrechte“ beraten lassen. Für die Verwender der unzulässigen Klauseln oder Geschäftspraktiken kann UOKiK hohe Geldstrafen verhängen – bis zu 10% des Jahresumsatzes aus dem Vorjahr.

Tipps für Internationalisierung und Verkauf nach Polen

Die erfolgreiche Internationalisierung des Online-Shops hat sehr viele Vorteile aber stellt sich gleichzeitig als anspruchsvolle Aufgabe vor, die gute Planung und Vorbereitung erfordert. Dies betrifft z.B. die Sorge um eine gut lokalisierte Internetpräsenz des Shops und die Vermarktung der Produkte. Um den Kunden ein richtiges Kauferlebnis zu sichern, müssen die Shop-Seiten durch Muttersprachler übersetzt werden, die den Text nicht nur übersetzten, sondern auch auf länderspezifische Unterschiede anpassen.

Besonders wichtig sind die Markt-Kenntnisse. Deswegen sollte die internationale Erweiterung im besten Fall einem einheimischen Country-Manager oder einem Markt-Kenner zugewiesen wurden. Es muss eine Person sein, die über die notwendige lokale Expertise und Kenntnisse über den polnischen Markt, die Bevölkerung, Kultur und andere spezifische Marktkräfte wie z.B. Online-Marktplätze verfügt. Der Country-Manager muss in der Lage sein, die länderspezifischen Bedürfnisse und Probleme identifizieren zu können. Er sollte auch als Ansprechpartner für Kunden und mögliche Partner fungieren. In der anfänglichen Phase der Shop-Internationalisierung (abhängig von Shopgröße) muss es kein großes Team sein, sondern eine „Multitasking“ orientierte Person.

Diese lokale Expertise und Know-how ist jedoch nicht nur in der anfänglichen Phase der Internationalisierung gefragt, sondern auch später – beispielsweise bei der Planung von Aktionen wie z. B. mit den Ferien oder Feiertagen verbundene Werbeaktionen und bei sonstigen Marketing-Kampagnen. Dies ist auch wegen der Spezifik des polnischen E-Commerce Markt geboten, denn über die internationalen Plattformen wie eBay oder Amazon können die deutschen Online-Händler keinen guten Zugang zum polnischen Online-Markt erlangen. Dies sollte – wenn man über eine Plattform die Internationalisierung starten möchte – über allegro.pl versucht werden, wobei zu beachten ist, dass Allegro eine verpflichtende polnisch-sprachige Internetpräsenz voraussetzt.

Wichtiger Faktor: Kundenservice in Landessprache

Ein wichtiger Faktor ist Kundenservice. Die erfolgreichsten Online-Shops in Polen sind diejenigen, die hohen Wert auf Kundenservice legen. Um sich langfristig am Markt gut zu etablieren und das Vertrauen des Kunden zu gewinnen, sollten die internationalen Online-Händler den Kunden einen professionellen Kundenservice in ihrer eigenen Sprache sicherzustellen.

Bei einer Internationalisierung mit nur halben Maßnahmen erreichen die Händler im besten Fall nur den halben Erfolg, denn die Konkurrenz ist schon jetzt in manchen Sektoren stark und Allegro hat im polnischen E-Commerce einen relativ hohen Standard gesetzt.

Über den Autor

Marcin Jedrzejak

Legal Expert Polen der Trusted Shops GmbH. Er hält einen Master of German and Polish Law von der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder und hat zusätzlich sein postgraduales Studium in Business Management abgeschlossen. Seine ersten beruflichen Erfahrungen konnte er in der Wirtschaftskanzlei Rödl & Partner sammeln. Seit Mitte 2015 ist er bei der Trusted Shops GmbH tätig und dort als Legal Expert für den polnischen Markt verantwortlich.

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