Ich habe heute früh in meiner Timeline einen großartigen Artikel über  den Torgauer Spielwarenladen Carl Loebner auf brandeins.de gefunden. Jörg Loebner war auch auf der Amazon Academy 2016 und erzählte von seinen Erfolgen im Onlinehandel. Er ist ein leuchtendes Beispiel dafür, wie sich Staionärer- und Online-Handel befruchten können.

Rund 66 000 Euro investierte er in den Aufbau eines Lagers und die Programmierung von Verwaltungssoftware. Wenn heute ein neuer Artikel eintrifft, steht er per Knopfdruck in wenigen Sekunden bei Amazon und Ebay online, […]. „Das läuft richtig gut“, sagt Loebner. Um die 80 000 Pakete verschicken sie pro Jahr. Den Umsatz will er nicht verraten, nur so viel: Er zahle die höchste Gewerbesteuer aller Unternehmen in Torgau. So hilft das Internet heute, das Spielzeuggeschäft mit Tradition zu bewahren.

Text: von Anika Kreller zuerst veröffentlicht auf brandeins.de

Durch dick und dünn

Der Torgauer Spielwarenladen Carl Loebner wird vom Vater an den Sohn weitergegeben – seit 332 Jahren.

Wer es in Torgau ins Stadt- und Kulturgeschichtliche Museum schaffen will, hat harte Konkurrenz: Die Stadt war Residenz sächsischer Kurfürsten, Wirkungsstätte Luthers und Sterbeort seiner Frau; am 25. April 1945, kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs, reichten sich hier an der Elbe amerikanische und sowjetische Truppen symbolträchtig die Hand. Mehr als genug Material, um ein Museum zu füllen.

Jörg Loebner aber hat es geschafft zwischen Rüstungen und barocken Torbögen, und das sogar zu Lebzeiten. Ein Foto des 63-Jährigen hängt in einem Raum des Museums, der seiner Familie gewidmet ist. Im „Loebner Zimmer“ sind Spielsachen aus vier Jahrhunderten ausgestellt: Keramikpuppen, ein Schienenzeppelin, ein Bausatz für einen Plastik-Lkw aus DDR-Zeiten. Kuriose Überbleibsel, die heute nur deshalb hier liegen, weil sie damals keiner haben wollte. Denn das Geschäft der Loebners ist: Spielwaren verkaufen, seit 332 Jahren, ununterbrochen, mit Jörg Loebner in der elften Generation. Damit hat die Familie einen festen Platz in der Geschichte der Stadt – und im Museum.

1685 siedelte Jörg Loebners Ur-ur-ur-ur-ur-ur-ur-ur-Großvater Christoph mit seiner Frau von Leipzig in die boomende Renaissancestadt Torgau über. Der Drechslermeister begann, Holzpuppen, Trommelstöcke, Kreisel und Pfeifen zu verkaufen. Seitdem wird das Geschäft vom Vater an den ältesten Sohn weitergegeben. Der Spielwarenladen Carl Loebner, benannt nach der siebten Generation, die als erste einen Namen über die Schaufensterbögen schrieb, ist damit das älteste Spielzeuggeschäft in Deutschland. Der MDR hatte 2003 für eine Fernsehsendung bei Finanzämtern und Industrie- und Handelskammern nachrecherchiert. Ein älteres fanden sie nicht.

Mit viel Findigkeit und ein wenig Glück haben es die Loebners geschafft, ihr Geschäft vier Jahrhunderte lang durch Kriege und Krisen zu führen. Unter der Besatzung Napoleons entkam ein Vorfahr nur knapp dem Exekutionsbefehl wegen nicht bezahlter Steuern. Während der Inflation waren im Dezember 1923 auf einmal 3,7 Billiarden Reichsmark in der Kasse, aufgrund der Weltwirtschaftskrise wenige Jahre später war ein Tiefpunkt mit nur noch 18,22 Reichsmark erreicht.

Im Zweiten Weltkrieg hatte die Familie das Glück, dass ihr Haus von Bomben verschont blieb. Nach Kriegsende war sie findig genug, Waren aufzutreiben, obwohl die deutsche Spielzeugindustrie am Boden lag. Jörg Loebners Vater reiste damals mit zwei Koffern durchs Land und sammelte, was er kriegen konnte. Sobald ein Koffer voll war, schickte er die Ware zum Verkauf nach Torgau.

Als zu DDR-Zeiten alle Betriebe mit zehn oder mehr Mitarbeitern verstaatlicht werden sollten, half das Schicksal, denn bei Loebners arbeiteten neun – eine Verkäuferin hatte kurz zuvor gekündigt. Und bei der Warenzuteilung gelang es der Familie – mittels Charme und kleiner Präsente – zusätzliche Artikel abzustauben. Mit Waschbecken, Trabi-Scheiben und Schnaps, die in Torgau produziert wurden, fuhren Jörg Loebner und sein Vater ins Erzgebirge, um sie gegen Holzspielzeug und Nussknacker zu tauschen. „Man musste nur kreativ sein bei der Warenbeschaffung“, sagt er. „Der Rest lief von selbst.“ Wenn mittwochs Nachschub an Spielzeug kam, war er freitags ausverkauft. Man kann sich gut vorstellen, wie Jörg Loebner den Leuten Ware abschwatzte. Er ist ein freundlicher Mann mit einem herzlichen Lachen. 1987 hat er das Geschäft übernommen – als sein Vater 65 wurde. „Auf den Tag genau“, sagt Loebner. Den guten Posten als Direktor für Materialwirtschaft eines Kombinats für Modellbausätze ließ er sausen. Wenn das Geschäft ruft, kommen die Loebners.

Der Countdown läuft

Auch Jörg Loebners Sohn Ingo, die zwölfte Generation, ist diesem Ruf schon gefolgt. Nach der Lehre bei seinem Vater war er nach Würzburg gegangen, um den Ablauf in anderen Läden kennenzulernen. Er hatte dort eine Freundin gefunden, ein Haus, einen großen Freundeskreis. Als 2006 seine Mutter schwer krank wurde, ließ er alles zurück, um der Familie zu helfen.

Wenn sein Vater 65 wird, wird Ingo übernehmen. Auf den Tag genau. 653 Tage, 9 Stunden und 36 Minuten sind es heute noch. Jörg Loebner hat auf seinem Handy einen Countdown eingerichtet. „Ich freu’ mich drauf“, sagt er. Das Geschäft ist stressig, vor allem wenn Weihnachten naht. Ab Mitte November gehen die Tage von fünf Uhr morgens bis abends um zehn. Aufhören kam trotzdem nie infrage. „Ich hätte den Laden nie zugemacht, nie, nie, nie. Jede Generation hatte ihre Probleme, alle haben es geschafft. Ich will nicht die Generation sein, die den Laden zumacht.“ Die Tradition, sie kann auch eine Bürde sein. Das Geschäft kommt immer zuerst.

Während sich nach der Wende die Nachbarn neue Autos kauften, steckte Jörg Loebner alles Geld in den Laden. In dem kleinen Büro, in dem er sitzt, war früher das Schlafzimmer seiner Eltern. Er hat ihre Wohnung zu einer zweiten Verkaufsetage ausgebaut. Mehr Fläche heißt, mehr Auswahl anbieten zu können. Die Loebners verkaufen heute unter anderem das komplette Sortiment von Playmobil und Lego, aber auch speziellere Artikel, die sie auf der Nürnberger Spielzeugmesse aufstöbern.

Sich auf Holzspielzeuge zurückzubesinnen, wie es manche Kunden gern hätten, würde in einer kleinen Stadt wie Torgau nicht funktionieren, sagt Loebner. Schweren Herzens hat er auch die Modelleisenbahnen aussortiert, das Steckenpferd seines Vaters. Sie verkauften sich einfach zu schlecht. Sentimental darf man im Einzelhandel heute nicht sein. Hatten seine Vorfahren mit Krisen, Krieg und Inflation zu kämpfen, hieß Jörg Loebners größte Herausforderung: Internet.

Das Geschäft blüht

Vom Laden allein könnten sie schon lange nicht mehr leben, trotz der idealen Lage nahe beim Marktplatz. Im Sommer kommen zwar jeden Tag Touristen, die der Elbe-Radweg in die Stadt spült. Die Torgauer aber kaufen im Einkaufszentrum außerhalb – oder eben im Internet. 2010 beschloss Loebner dahin zu gehen, wo die Kunden sind. „Das war die Entscheidung meines Lebens“, sagt er.

Rund 66 000 Euro investierte er in den Aufbau eines Lagers und die Programmierung von Verwaltungssoftware. Wenn heute ein neuer Artikel eintrifft, steht er per Knopfdruck in wenigen Sekunden bei Amazon und Ebay online, versehen mit einer Preis-Automatik, die ihn ein bisschen günstiger anbietet als bei der Konkurrenz. „Das läuft richtig gut“, sagt Loebner. Um die 80 000 Pakete verschicken sie pro Jahr. Den Umsatz will er nicht verraten, nur so viel: Er zahle die höchste Gewerbesteuer aller Unternehmen in Torgau. So hilft das Internet heute, das Spielzeuggeschäft mit Tradition zu bewahren.

Jörg und Ingo Loebner sind zuversichtlich, dass es weiter gut läuft. In diesem Jahr sollen es sogar 100 000 Pakete werden. Sie bauen gerade einen eigenen Onlineshop auf, um sich die Verkaufsgebühr bei Amazon zu sparen. Jörg Loebner will außerdem ins „Guinness World Records“-Buch. Momentan trägt ein Londoner Geschäft den Titel des ältesten Spielzeugladens der Welt. Es wurde 1760 gegründet, also 75 Jahre nach Loebner. Der Unternehmer hat die nötigen Beweise und Dokumente für den Antrag schon beisammen.

Da ist nur eine Sache, die ihm ein wenig Kopfzerbrechen bereitet. Für die schwindenden Kunden und die wachsende Konkurrenz im Netz hat er schließlich Lösungen gefunden. Ein anderes Problem ist kniffeliger und entzieht sich seinem Einfluss: Ingo hat noch keine Kinder.

(Quelle:  brandeins.de Text von Anika Kreller)