Es ist mal wieder spannend, wer so alles die Glaskugel diese Tage nach vorne holt und durch Handauflegen die Dominanz von Amazon errechnen können möchte. Die bekannten Stimmen von Alexander Graf und Konsorten kennen wir ja. Demnach gehört Amazon ja schon die Welt. Adrian Hotzs Weltbild besteht schließlich schon seit Langem nur noch aus 2 Unternehmen, Amazon und Tesla. Neu hinzugekommen ist jetzt Jochen Fuchs, großartiger E-Commece-Redakteur der t3n. Er nennt nun einen Marktanteil von 53 bis 64 Prozent.

Populismus unter dem Deckmantel der Seriosität

Andere Worte fallen mir für diesen unglaublichen Schwachsinn, die Experten, Fachleute, Journalisten und Influencer der deutschen E-Commerce-Landschaft da von sich geben, echt nicht ein. Euch vielleicht?

Meine dringende Bitte an alle Teilnehmer des alljährlich stattfindenden Amazon-Orakels: Schaltet euer Hirn ein und überprüft das Zahlenwirrwarr kritisch(er).

Das Unmögliche Möglich machen

Den Marktanteil von Amazon am deutschen E-Commerce zu errechnen ist mit dem vorhanden Zahlenwerk so möglich, wie die Erfindung eines Perpetuum Mobile. Ganz einfach: Geht nicht. Klappt nicht. Haut nicht hin. Ist halt so.

Warum sich also jetzt jeder, der im deutschen E-Commerce wahrgenommen wird oder wahrgenommen werden möchte, unbedingt an dieses Thema ranwagen muss, erschließt sich mir nicht. Das scheint aber gerade irgendwie ein tiefer innerer Drang vieler zu sein. Schade.

Beispielhaft Jochen Fuchs’ Zahlen- & Rechenwerk

Er kommt zum dem Schluß, dass Amazon einen Marktanteil zwischen 53 und 64% innehat. Er errechnet einen Umsatzanteil von 31,3 Mrd. Euro. Den Gesamtumsatz sieht er zwischen 48,7 und 58,5 Mrd. Euro.

Jetzt mal ich: Sind die Zahlen brutto oder netto? Vor oder nach Retouren? Nix Genaues weiß man. Viel spannender finde ich aber: Wenn man nun einmal die Umsätze aus der EHI-Studie der Top 100 addiert (exkl. Amazon), dann kommt man auf satte 19,3 Mrd. Euro Umsatz. Und jetzt Amazon-Umsatz plus Top-100-Umsatz: 31,3 + 19,3 = 50,5 Mrd. Euro Umsatz.

Der EHI definiert wie folgt die Umsätze: “Nettoumsatz (bereinigt von Retouren, exkl. Umsatzsteuern), der im jeweiligen Onlineshop im Jahr 2016 in Deutschland aus der reinen Geschäftstätigkeit des Onlineshops (ohne sonstige betriebliche Erträge) erzielt wurde. Schwerpunkt der Untersuchung waren B2C-Onlineshops für physische Güter, Umsatz mit digitalen Gütern wie Apps und Streaming-Diensten von Shops, z.B. Apple iTunes und Spotify, wurde nicht berücksichtigt. Abgebildet ist immer der Umsatz der jeweiligen URL und nicht der Gesamtumsatz des Unternehmens.” (Quelle: EHI)

So, damit sind wir mittendrin im Dilemma: Wo sind denn die Umsätze der restlichen 900 Online-Shops. Und welche Rolle spielt eBay als weiterhin großer und wichtiger Vertriebskanal in diesem Match? Wie schaut’s aus mit dem bisher noch nicht berücksichtigten Marktwachstum?

Ja, Mensch, merkt ihr was? Die Zahlen stimmen hinten und vorne nicht!

Was nicht geht, geht nun einmal nicht

Solange wir nicht die Quadratur des Kreises hinbekommen, solange werden wir auch nicht den Marktanteil oder die Dominanz von Amazon am deutschen E-Commerce quantifizieren können. Und jeder der sich daran versucht verspielt ein Stück weit seine Reputation.

Die Zahlen wären ja geil

Ohne Zweifel wären wirklich seriöse Zahlen großartig und auch wünschenswert. So aber bedienen die Damen und Herren Orakelleser, Handaufleger oder Glaskugelschauer nicht mehr als die Klischees ihrer jeweiligen Follower- und Leserschaft. Und damit ist keinem aus der Branche geholfen.

Fazit: Auch wenn euch einer bei den Zahlen abgeht …

… schalten nicht sofort euer Hirn ab, sondern denkt wenigsten eine Sekunde über den Quatsch nach, der euch da gerade präsentiert wird.

Die Annahmen können richtig oder falsch sein. Wir wissen es nicht. Das, was wir wissen und sicher sagen können ist, dass Amazon stark ist, ja auch dominant und für Merchants wie auch Vendoren ist und bleibt Jeff Bezos Baby existentiell für den wirtschaftlichen Erfolg UND Misserfolg.

(Credit an Peter Höschl von shopanbieter.de. Er verwendete dieses Titelbild bereits in seinem Artikel.)