Früher war alles besser. Eine Meinung, die scheinbar viele Händler mittlerweile vertreten. „Die Zeiten, als ein Michael Marcovici, Armin Boubaker, Mark Steier, Niclas Walser und Co. sich noch ein kleines Imperium mit Amazon oder eBay aufbauen konnten, sind doch schon seit mindestens 10 Jahren vorbei. Heute gilt für 99% die Devise: zu wenig zum Leben aber zu viel zum Sterben. Jedem Neueinsteiger kann man nur noch dringend abraten“, so ein Händler in der Wortfilter Facebook-Gruppe.

Dieser These widerspreche ich vehement. Mich ärgert diese Retromanie, denn sie zeichnet nicht die Wirklichkeit ab. Ja, Dinge haben sich verändert und von einem Onlinehändler werden andere Fähigkeiten gefordert als noch vor 20 Jahren. Aber auch in 20 Jahren werden die Händler andere, neue Herausforderungen meistern müssen.

Einen Händler sollte diese stetige Veränderung weder verwundern, noch dürfte sie für ihn wirklich etwas Neues sein. Einer der ältesten Händlerweisheiten ist schließlich ‚Handel ist Wandel‘. Sie ist seit dem 15. Jahrhundert erstmals durch Luther überliefert und hat auch bis heute nichts von seiner Gültigkeit verloren.

Verklärung der Vergangenheit

Warum erinnern wir uns also nur in blumigen Bildern und mit positivsten Erfahrungen? Dazu lohnt sich ein Blick in die Wissenschaft der Seele, der Seelenkunde oder Psychologie. Die meisten Menschen leiden unter dem Phänomen der ‚rosigen Vergangenheit‘, wie eine Studie aus den USA bereits 1995 aufzeigte. Verdrängen wir das Schlechte und behalten das Gute, dann begründet das die Wahrnehmung, alles Vergangene sei besser gewesen. Ein weiterer Hinweis gibt uns unser Erinnerungs-Pool. Hier sind gerade im Alter Erinnerungen aus der Zeit zwischen 15 und 25 Jahren noch sehr präsent. Das ist deshalb so, weil wir in den jungen Jahren viele Dinge zum ersten Mal erlebt haben und wir gerade unser Selbstkonzept bildeten. Eine sehr schöne Quelle findet sich hier.

Pros & Contras früher

Pro:

  • Einfache Produktbeschaffung
  • Hohe Margen >45%
  • Geringere rechtliche Hürden

Contra:

  • Kaum Prozessautomatisation
  • Hohe Herstellerhürden
  • Kaum Tool-Unterstützung

Pros & Contras heute

Pro:

  • Gute Softwareunterstützung
  • Hoher Wissenstransfer
  • Größerer & entwickelter Markt

Contra:

  • Mehr Wettbewerb
  • Hohe rechtliche Hürden
  • Umfänglicheres benötigtes KnowHow

Natürlich ist diese Liste nicht abschließend. Es finden sich eine Vielzahl weiterer Pros & Cons, damals und heute. Diese demonstrieren aber vor allem die Wandlung und unterstützen eben nicht eine Klassifizierung.

Daten & Fakten

Um eine explizite Geschäftsidee umzusetzen, gründeten mit 333.000 Personen 23.000 mehr als noch im Vorjahr (+8 %). Das Verhältnis von Chancen- zu Notgründern verbessert sich somit zum dritten Mal in Folge, so der KfW- Gründermonitor 2018.

Um eine explizite Geschäftsidee umzusetzen, gründeten mit 333.000 Personen 23.000 mehr als noch im Vorjahr (+8 %)

Die Zahl der Insolvenzen in Deutschland ist weiter rückläufig. Mit 19.900 Unternehmensinsolvenzen wurde 2018 der niedrigste Wert seit 1994 (18.820 Fälle) registriert, berichtet die Finanzdienstleistungsunternehmen Creditreform.

Insolvenzen in Deutschland, Jahr 2018

Fazit

Tatsächlich ist es so, dass die Herausforderungen sich lediglich gewandelt haben. Es gibt keine Gründe anzunehmen, dass der Onlinehandel heute schwerer zu bewerkstelligen ist als früher. Nach wie vor wächst der Markt zweistellig und er wird sich auch in den kommenden Jahren nicht deutlich verändern.

Die Verklärung der Vergangenheit ist im Übrigen auch den Marketer bekannt, denn auch sie bedienen sich oftmals des Sinnbilds, dass früher alles besser war.

Ein schönes Beispiel, wie Händler erfolgreich ihre Chancen aktuell nutzen, ist z. B. die Firma KW Commerce. 2012 gegründet von Max Kronberg und Jens Wasel, beschäftigte 2018 über 200 Mitarbeiter und erwirtschaftete 2017 einen sechsstelligen Gewinn. Oder aber auch die KAVAJ GmbH, gegründet 2014, das Geschäftsjahr bis zum 31.03.2015 wurde gleichfalls positiv sechsstellig abgeschlossen. Der Gewinn im 2. Jahr erreichte kumuliert fast 1 Million Euro.

Bild: Collection by Marc Walter, Sabine Arqué/Courtesy of Taschen Books