Kunst auf eBay?

Mit freundlicher Genehmigung des Autors veröffentliche ich hier seinen Text aus einer Auktion:

Gibt es bei ebay wirklich Kunst?

Bei ebay bekommt man alles!

Ursprünglich als Online-Flohmarkt konzipiert, ergeht es der modernen Handelsplattform wie den traditionellen Flohmärkten: Neben dem wirklichen Gebrauchtwaren- Angebot bauen clevere Händler ihre Stände auf und bieten den zahlreichen Besuchern Neuware an. Warum auch nicht? ebay verdient gut daran, und auch der Verbraucher profitiert: preiswerte neue Tintenpatronen, Sitzheizungen oder Party-Nebelmaschinen sind woanders schwer zu bekommen!

Aber zeitgenössische Kunst?

Art goes eBayIst das denn nicht mehr die Domäne der ca. 600 Galerien in Deutschland? Gehören zu Gemälden und Skulpturen nicht klassische Musik, Effektbeleuchtung und parfümgeschwängerte Luft? Und das „Schaut her, ich bin auch da!” auf Vernissagen, jenen gesellschaftlichen Glanzlichtern, auf denen Kulturdezernenten die Laudatio sprechen, während den Zuhörern Sektgläser auf silbernen Tabletts gereicht werden?

Offensichtlich nicht! So wie Aldi und Lidl in den traditionellen Lebensmittelmarkt einbrachen, so scheint ebay in den etablierten Kunstmarkt vorzustoßen. Dabei sind die „echten” Galerien, die dort eine „Online-Filiale” eröffnen, nur die Speerspitze. Zahlreiche ebay- Kategorien sind prallvoll gefüllt mit zeitgenössichen Kunstwerken (die alten sollen bei dieser Betrachtung mal außen vor bleiben). Besonders beliebt ist es, Gemälde wie ein Kuckucksei in fremde Nester zu legen, sprich in verschiedenen Möbel-Kategorien einzustellen. Offensichtlich mit Erfolg. Geschätzte 12.000 bis 15.000 zeitgenössische Kunstwerke sind jederzeit bei ebay Deutschland zu ersteigern!

Kunstwerke?

Sicher verdienen viele der dort ausgestellten Bilder und Skulpturen dieses Prädikat nicht. War es der FOCUS-Artikel über den neuen ebay-Trendmarkt – vor fast genau einem Jahr erschienen – der unzählige Hobbykünstler ins Internet lockte? Nun gut, wenn’s das Ego streichelt!

Erstaunlicher Weise findet der Kenner auch wirklich herausragende Werke bei ebay. Es gehört natürlich große Vorstellungskraft dazu, von kleinen Pixelbildern (die auf jedem Monitor anders aussehen) auf die leuchtenden Farben und das tatsächliche Format des Originals zu schließen. Und manchmal wird dabei geschummelt: wenn zum Beispiel ein handtuchgroßes Gemälde wandfüllend hinter ein 3-Sitzer-Sofa fotomontiert wird. Doch mit etwas Mut zum Risiko kann man ein richtiges Kunstwerk zum Schnäppchenpreis direkt vom Künstler ersteigern! Und das sind nicht zwingend die, bei denen in der Titelzeile „Galeriepreis 3.200 EUR” steht.

Künstler?

Finden Künstler in den Galerien so wenig Käufer für ihre Werke, dass sie diese bei ebay anbieten müssen? „Verramschen” ist vielleicht der treffendere Begriff. Denn oft fällt der Hammer bei Preisen, die den Maler oder Bildhauer in den finanziellen Ruin stürzen. Denn Leinwand, Farbe und Keilrahmen haben ihren Preis, und die ebay-Präsentation als Top-Kategorie (17,95 Euro!) ist ein absolutes Muss für jeden, der sein Werk nicht eine Stunde vor Ablauf der Auktion auf der Seite 30 suchen will. Stellt man sein Werk gleich in zwei Kategorien ein, so verdoppeln sich die Gebühren. Ein Auktions-Endpreis von 14,50 Euro bedeutet dann fast den Totalverlust des eingesetzten Kapitals! Hier haben Versteigerungen und Aktienhandel eine Gemeinsamkeit.

Ist der Auktionspreis dreistellig, erzielt der Anbieter in der Regel einen kleinen Gewinn. Preise über 200 Euro werden seltener erreicht. Dabei mag es schon mal vorkommen, dass beim Bieten ein wenig nachgeholfen wird (fast alle Auktionen sind anonyme Privatauktionen). Aber das ist in meinen Augen ein legitimes Mittel, um ein Verlustgeschäft abzuwenden (siehe oben). Wie dem auch sei: Wenn ein Künstler oder Galerist auch nur zwei Bilder pro Woche Gewinn bringend versteigert, dann kommt schon ein schönes Sümmchen zusammen! Was spricht dagegen, im Jahr statt zwei Werke für 1.200 Euro (in Galerien) 100 Bilder für durchschnittlich 120 Euro (bei ebay) zu verkaufen? Wer die Grundrechenarten beherrscht wird seine Bedenken ablegen!

Verändert ebay den Kunstmarkt?

Ja, die Entwicklung ist auf dem Weg. Natürlich rümpft das Establishment noch die Nase. Wie zu den Zeiten, als Aldi und Lidl ihre ersten Plattenbauten am Stadtrand eröffneten: „Arme-Leute-Läden!” Heute weiß jeder, dass es dort die gleiche Qualität gibt wie in der Innenstadt. Nur viel billiger. Der Einkauf bei den Discountern ist heute gesellschaftsfähig, mancher Orten sogar Kult. Auf die gleiche Weise macht ebay den Kunstliebhaber zum Gewinner: Für den Preis eines gerahmten Kunstdrucks gibt es hier gute Unikate fürs Wohnzimmer, die Arztpraxis oder das repräsentative Foyer: Kunst für breite Bevölkerungsschichten!

Für den Künstler ist der Netzmarkt zweifellos ein Abstieg in niedere Sphären, er muss sich vielleicht sogar als „Gebrauchskünstler” bezeichnen lassen. Eine zweite „ebay-Identität” kann da hilfreich sein. Aber das gute Gefühl, dass seine Bilder gekauft werden, dass womöglich in den letzten Minuten der Auktion der Preis in die Höhe schießt, das macht vieles wett. Und bei nur 4 Prozent Provision sollte auch die Kasse stimmen ...

Wie fast alles in einem marktwirtschaftlichen System wird sich auch der ebay-Kunstmarkt selbst regulieren. Viele der – ihrem Stil fest verhafteten – Künstler, die Woche für Woche „Geld in die Luft werfen”, das nicht mehr herunter kommt, werden sich schnell aus ebay zurückziehen und ihre – unverstandenen oder nicht online kommunizierbaren – Kunstwerke wieder in die Galerien und Sparkassenfoyers hängen. Andere werden mit ihren dekorativen, den Moden folgenden Gemälden und Skulpturen angemessene Preise erzielen und vielleicht sogar davon leben können. Und für einige wenige hochbegabte Künstler könnte ebay das Katapult zum großen Durchbruch werden. Wer diese Köpfe frühzeitig in der Masse entdeckt, kann sich später mit den zum Spottpreis erworbenen Originalen stolz als wahrer Kunstkenner profilieren.


Anmerkung des Autors: Ich bin weder Künstler noch Galerist, nur ein kunstinteressierter Marketing-Mensch, der den ebay-Kunstmarkt seit etwa einem Jahr aufmerksam beobachtet und dort auch schon mit Künstlern einen Dialog geführt hat. Ich möchte hiermit meine Beobachtungen und Standpunkte zur Diskussion stellen, und zwar genau dort, wo sie ihren Ursprung haben. Ich verfolge keine kommerziellen Interessen mit diesem Artikel. Sicher wird er vielfältige Reaktionen auslösen. Wenn Sie Ihre Meinung öffentlich machen wollen, gehen Sie bitte zum „Schwarzen Brett

Quelle: Auktion

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© 2003 bei Axel Gronen. Letzte Aktualisierung: 02.12.03.
Etwaige Rechtschreib- und Grammatikfehler in diesem Text sind gewollt und wurden hier mit Absicht versteckt. Wer sie findet, darf sie behalten oder auf eBay versteigern. Best viewed with open eyes and a human brain ver. 1.0 or above.

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